Freiräume gestalten

Exkurs-Redakteur Hendrik Behnisch über den Ansturm aufs Stadtgrün während der Pandemie.

Der Nutzungsdruck auf städtische Parkanlagen ist während der Corona-Pandemie enorm gestiegen. Insbesondere junge Menschen trieb der monatelange Shutdown ins Freie. Foto: industrieblick, Adobe Stock

Wie wichtig Freiräume fürs Wohlbefinden der Stadtbewohner sind, wusste die grüne Branche schon immer. Die breite Öffentlichkeit hingegen tat sich mit dieser Einsicht lange Zeit ziemlich schwer – bis Corona kam. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass Städte ein arg trostloses Bild abgeben können, wenn Kinos, Clubs und Kneipen geschlossen sind. Vielen Menschen blieb kaum etwas anderes übrig, als ihre Freizeit verstärkt nach draußen zu verlagern – wodurch Freiräume plötzlich zu regelrechten Hot-Spots aufstiegen.

Umkämpfte Flächen

Dieser fast zwangsläufige Ansturm auf Grünanlagen und öffentliche Plätze konnte nicht folgenlos bleiben: War Flächenknappheit schon vor Corona die Achillesferse urbaner Lebensqualität, so stieg die Konkurrenz der Bürger um „ihre“ Freiräume während der Pandemie bedenklich an.

Die starke Inanspruchnahme städtischer Grünflächen ließ manchen Entspannungssucher gar auf Friedhöfe ausweichen. So kultivierte beispielsweise in Berlin der ein oder andere das Sonnenbaden zwischen Gräbern. Von einer Zweckentfremdung der Gottesäcker zu sprechen, ist zwar gerechtfertigt, greift jedoch zu kurz: Denn eine Stadt, die den Freiraumbedarf ihrer Bürger nicht decken kann, riskiert es mittelfristig, ihren Status als „place to be“ einzubüßen. Oder anders gesagt: Die Schuld des Einzelnen ist es nicht, dass er an seinem Wohnort nicht genügend Alltags-Oasen vorfindet.

Das hier beschriebene Phänomen der Flächenknappheit berührt einen heiklen Punkt: Die Defizite demokratischer Teilhabe an Freiräumen. Zwar klingt es verlockend, sich Plätze, Parks und Grünanlagen als großes gemeinsames Wohnzimmer an der frischen Luft vorzustellen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn es birgt immer Konfliktpotenzial, wenn unterschiedliche Nutzungsansprüche an ein und denselben Freiraum gestellt werden. Schließlich reden wir hier von Orten, die allen „gehören“. Das galt schon immer, ist in der Pandemie aber in besonderem Maße sichtbar geworden. Welche Konsequenzen muss die Freiraumgestaltung nun daraus ziehen?

Differenzierte Nutzung

Ein vielversprechender Ansatz ist es, Menschenansammlungen zu „entzerren“, indem Außenanlagen gemäß ihren Funktionen stärker voneinander abgegrenzt werden. Denn je „offener“, also unspezifischer urbane Freiräume erscheinen, desto mehr Gerangel um die „beste“ Nutzungsform kann es geben. 

Ein klassisches Beispiel ist der Park: Während das frischverliebte Pärchen hier ungestört picknicken will, ist die Gruppe junger Männer zum Fußballspielen hergekommen. Und der Hundebesitzer jagt seinen Vierbeiner bis zur Erschöpfung über den Rasen. Natürlich haben alle ein Anrecht darauf, hier zu sein. Doch spätestens, wenn der Fußball auf die Picknickdecke fliegt und die Weinflasche umwirft, war’s das mit dem harmonischen Miteinander. 

Soweit muss es nicht kommen. Denn eine gute Freiraumgestaltung kann verhindern, dass solche Konflikte überhaupt erst entstehen. In unserem konkreten Beispiel könnte das dadurch gelingen, dass ein Bereich des Parks explizit als Liegewiese beschildert wird, in der Hunde und Ballspiele verboten sind. Das Pärchen picknickt ungestört, während der Vierbeiner sich auf einem nahegelegenen Hundespielplatz austoben kann. Die Hobby-Fußballer sollten ebenfalls einen eigenen Bereich im Park nutzen können – ohne befürchten zu müssen, in Essensreste, Glasscherben oder Hundehaufen zu treten.

In einem solchen Szenario besitzt der Park zwar jene Multifunktionalität, die angesichts der hohen Vielfalt unserer Gesellschaft erforderlich ist. Durch das Aufteilen der Nutzungsangebote in eigens markierte Bereiche erlangt er jedoch eine Ordnung, die das „Harmonie-Management“ durch klare Verhaltensregeln unterstützt. Die Bürger werden so zu gegenseitiger Rücksichtnahme angeleitet, da sie sofort wissen, welche Nutzungsform wo erwünscht ist.

Wie auch immer die gestalterischen Lösungen im Einzelnen aussehen mögen: Deutschlands Freiräume müssen nach einem Jahr, in dem sie stärker denn je beansprucht wurden, fit für die Zukunft gemacht werden. Gelingt das nicht, könnten wir nach Ende der Pandemie wieder eine Nation der Stubenhocker sein. Und das kann doch niemand ernsthaft wollen, oder?

Hendrik Behnisch

Zur Person

Hendrik Behnisch, 1985 in Berlin geboren, ist seit 2018 verantwortlicher Redakteur des Supplements "Exkurs", das alle drei Monate den grünen Titeln des Patzer Verlags beiliegt. Zudem wirkt er an den Fachzeitschriften Neue Landschaft und Pro Baum mit.

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