Großstadt-Oasen

Exkurs-Redakteur Hendrik Behnisch über den gesellschaftlichen Wert von historischen Parkanlagen.

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Historische Parkanlagen verkörpern eine Symbiose aus Natur und Kultur, in der sich lebendiges Grün und menschliche Bauwerke perfekt ergänzen. Foto: Wirestock, Adobe Stock

Zugegeben: Den Titel „Großstadt-Oasen“ gezielt auf historischeParkanlagen zu münzen, mag etwas überraschen Letztlich ist es hochgradig subjektiv, was der Einzelne als Oase empfindet. Moderne Stadtmöbel, die an einem lauschigen Fleckchen platziert wurden, können ebenso Ruhepunkte bilden wie kreativ gestaltete Spielplätze. Für manch einen ist das obligatorische Kindergeschrei willkommene Begleitmusik, ein anderer schaut dort vielleicht in den Abendstunden vorbei, um auf einer Bank ein Buch zu lesen.

Allerdings: Wenn wir die Großstadt-Oase auch ökologisch denken wollen, dann muss sie zwingend Pflanzen beherbergen. In diesem Fall wären begrünte Innenhöfe oder Dachgärten Orte, denen ich mich an dieser Stelle widmen könnte. Wieso also historische Parks und Gärten? Meine Antwort lautet: Weil sie über ihren Erholungswert hinaus herausragende Elemente der Stadtnatur sind – und das sowohl in ökologischer als auch kultureller Hinsicht.

Denn seien wir ehrlich: In vielen Fällen setzen grüne Mini-Areale bestenfalls Nadelstiche gegen die voranschreitende Verdichtung. Ja, ihre Ökosystemleistungen sind ihnen ebenso unbenommen wie die Tatsache, dass sie als wichtige Argumentationshilfe für eine bessere Stadtgrün-Politik dienen. Aber wahre Erholung? Die gibt die begrünte Bibliotheksfassade genauso wenig her wie der modulare Mini-Baum neben der Bäckerei.

Dafür braucht es weitläufige Grünanlagen, die als besonders bewahrenswert gelten und deshalb streng geschützt werden. Bei Gartendenkmälern handelt es sich um genau solche Orte. Sie bieten uns die Entschleunigung, die wir so dringend benötigen – und sind zugleich baukulturelle Schätze, die ihresgleichen suchen.

Das grüne Erbe der Preußenkönige

Eine äußerst hohe Schlossparkdichte gibt es im Großraum Berlin, wo die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) das grüne Erbe der Preußenkönige pflegt. Diese beeindruckende Kulturlandschaft, die unter anderem Potsdam-Sanssouci, das Schloss Charlottenburg und die Pfaueninsel umfasst, ist untrennbar mit dem Namen Peter Joseph Lenné verbunden.

Lenné wirkte im 19. Jahrhundert als Generaldirektor der königlich-preußischen Gärten und prägte deren Erscheinungsbild über viele Jahrzehnte. Da der Preuße als Übervater der deutschen Gartenkunst gilt, hat ihn die grüne Branche hierzulande längst in den Rang eines Säulenheiligen gehoben. Zugleich – und das ist für die breite Bevölkerung letztlich das Entscheidende –  profitieren wir bis heute von seiner Gestaltungskunst.

Denn Lenné, der dem Vorbild englischer Landschaftsgärten nacheiferte, legte großen Wert darauf, seine Parkanlagen großzügig zu dimensionieren. In seinen Augen bürgte insbesondere die Weitläufigkeit der Areale für ihre Erholungswirkung.

In Zeiten rasanten Städtewachstums und einer Bevölkerungsdichte, die unsere Nerven über Gebühr strapaziert, ist Lennés Ansatz von brennender Aktualität: Wer lärmende Menschenmassen hinter sich lassen will, der dürfte die preußischen Schlossparks tatsächlich als Oasen empfinden und sie nur allzu gern aufsuchen.

Lebendige Kunstwerke

Bei allem Lobpreis für die historischen Parks und Gärten der Region Berlin-Brandenburg muss eines jedoch klar sein: Als offene Landschaftsgebilde stellen sie zwar eine eindrucksvolle Symbiose aus Natur und Kultur dar. Sie dürfen aber nicht als eine Art Freiluftmuseum missverstanden werden, das äußeren Einflüssen spielerisch trotzt.

Das Gegenteil ist der Fall: Die Parkanlagen mögen Oasen von herausragender Schönheit sein, doch sind sie auch lebendige Kunstwerke. Das Grün, das sie beherbergen, wächst und vergeht und spiegelt den Wechsel der Jahreszeiten wie es kein Wandgemälde oder Theaterstück je könnte. Allerdings: Genau dieser Umstand, der den größten Reiz der Gartendenkmäler begründet, führt auch zu ihrer Vulnerabilität.

Die vergangenen Hitzesommer haben das auf dramatische Art und Weise gezeigt. Pressemitteilungen, in denen die SPSG Parkbesucher davor warnt, zu lange unter Bäumen auszuharren, sind zur Sommerzeit keine Seltenheit mehr. Die mehrheitlich altehrwürdigen Gehölze sind durch monatelangen Trockenstress so stark geschädigt, dass Astabbrüche ein reales Risiko darstellen – im schlimmsten Fall mit Verletzungsfolgen für Spaziergänger. Belastbare Zahlen zu den Baumausfällen in den SPSG-Arealen liegen zwar noch nicht vor.

Doch das wird sich bald ändern: Seit anderthalb Jahren läuft ein Modellvorhaben der Technischen Universität Berlin, aus dem Ende 2022 ein Parkschadensbericht hervorgehen soll. Forscher aus dem Fachgebiet Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung wollen in dem Papier darlegen, wie stark die Gehölze in den historischen Parkanlagen durch Hitze und Trockenstress geschädigt wurden. Untersucht wurden übrigens nicht nur die SPSG-Anlagen, sondern Gartendenkmäler bundesweit.

So wertvoll die erhobenen Daten auch sein werden – es steht zu befürchten, dass der Bericht eine Hiobsbotschaft wird. Vielleicht kann das ein Weckruf sein, endlich größere Fördermittel für die Pflege und den Erhalt historischer Parkanlagen bereitzustellen. Zu wünschen wäre es uns allen. Denn in den Wüstensommern, die uns noch bevorstehen, brauchen wir grüne Großstadt-Oasen dringender denn je. hb 

Zur Person

Hendrik Behnisch, 1985 in Berlin geboren, ist seit 2018 verantwortlicher Redakteur des Supplements "Exkurs", das alle drei Monate den grünen Titeln des Patzer Verlags beiliegt. Zudem wirkt er an den Fachzeitschriften Neue Landschaft und Pro Baum mit.

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