Grüne Horizonte

Exkurs-Redakteur Hendrik Behnisch über die städtebauliche Bedeutung von Dach- und Fassadenbegrünung.

Ein internationaler Vorreiter bei der Bauwerksbegrünung ist Singapur. Der südostasiatische Stadtstaat beherbergt unter anderem dieses Best-Practice-Beispiel: Das Hotel Parkroyal. Foto: BuGG

So zynisch es zunächst klingen mag: Der Klimawandel bringt nicht nur Verlierer hervor. Im Gegenteil, manchen Berufsgruppen beschert er mehr Relevanz denn je. Die grüne Branche zählt zweifellos zu den Profiteuren der Erderwärmung – zumindest kurzfristig. Denn ihre Expertise ist nun gefragt, um unsere Städte lebenswert zu halten, wenn nie dagewesene Sommerhitze und Überflutungsgefahr herrschen. Dabei ist klar: Ein einzelner neuer Straßenbaum wird das urbane Mikroklima ebenso wenig retten wie eine dekorative Wandbegrünung. Deshalb bedarf es ganzheitlicher Begrünungskonzepte, in der die grünen Berufsgruppen nicht um Aufträge konkurrieren, sondern im Sinne des großen Ganzen zusammenwirken. 

Begrünung nicht nur ebenerdig denken

Die bauliche Realität unserer Städte gibt dabei logischerweise den Handlungsrahmen vor – und die besten Anti-Hitzekonzepte nützen nichts, wenn sie die zunehmende Flächenknappheit nicht mitberücksichtigen. Deshalb ist es sinnvoll, den Blick in die Höhe zu richten und Begrünung nicht nur ebenerdig zu denken. Gebäudebegrünung ist vielleicht der städtebauliche Ansatz, der sich am einfachsten mit der voranschreitenden Versiegelung vereinbaren lässt. Dr. Gunter Mann, der dem Bundesverband GebäudeGrün (BuGG) als Präsident und Geschäftsführer vorsteht, relativiert diese Aussage: „Dach- und Fassadenbegrünung sind angesichts der Flächenknappheit zwar unheimlich wichtig, aber wenn man es ganzheitlich betrachtet, sind sie nur ein Baustein der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung.“

Dass so viel Bescheidenheit gar nicht sein muss, zeigen die Rückmeldungen, die der BuGG seit Jahren aus Städten und Gemeinden erhält. Die politischen Entscheidungsträger vor Ort haben Dr. Mann zufolge mittlerweile eingesehen, dass bauliche Klimaschutzmaßnahmen alternativlos seien – was neben Entsiegelungen eben auch mehr Dach- und Fassadenbegrünung am Baubestand einschließe.

Und dennoch: Der erfolgreichen Profilierung „seiner“ Themen zum Trotz ist dem BuGG-Präsidenten durchaus eine gewisse Ernüchterung anzumerken. Der Grund: Er ist unzufrieden mit dem Branchendiskurs an sich. Denn der ließe sich immer wieder von altbekannten Schlagworten leiten und drehe sich mitunter im Kreis. Ein Buzzword, mit dem Dr. Mann zurückhaltend umgeht, ist das der „Schwammstadt“: „Das zugrundeliegende Prinzip der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung ist absolut nichts Neues – auch wenn es gerade wieder gehypt und als große Zukunftsvision beschworen wird.“ Diese semantische Nabelschau, das wortreiche In-der-Theorie-Hängenbleiben, ist das, was Deutschlands obersten Gebäudebegrüner am meisten stört: „Als grüne Branche reden wir immer noch zu viel. Wir müssen jetzt endlich handeln und unsere teils schon lange bewährten Ideen endlich umsetzen.“

BuGG und BGL mit Kooperationsoffensive

Dass sein Verband mit gutem Beispiel vorangeht, zeigt sich in einer konkreten Kooperationsoffensive, die der BuGG im Sommer 2023 mit dem Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) starten wird. Deren Ziel ist es, die Landschaftsgärtner der Republik näher an die Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung heranzuführen. Denn: „Grundsätzlich verfügt der GaLaBau zwar über die fachlichen Grundlagen, um Dächer zu begrünen. Aber um Dachbegrünung im größeren Maßstab effizient anlegen zu können, bedarf es auch für Landschaftsgärtner einer Weiterbildung.“

Hier setzt der BuGG an und möchte dem GaLaBau eine helfende Hand reichen, wie Dr. Mann ausführt: „Wir sind gerade dabei, zusammen mit dem BGL den mehrwöchigen Lehrgang Zertifizierter Bauwerksbegrüner ins Leben zu rufen. Nach den Sommerferien wollen wir gemeinsam den ersten Modelllehrgang durchführen, der einen Theorie- und Praxisteil sowie eine Abschlussprüfung beinhaltet.“ Sollte sich das Angebot entsprechender Beliebtheit erfreuen, so der BuGG-Präsident, soll es fortan als feste Weiterbildung angeboten werden.

Also: Es geht doch. Hier wird ganzheitlich gedacht und gemeinsam angepackt. Der Schulterschluss von BGL und BuGG könnte der ganzen Branche als Vorbild dienen, konkreter zusammenzuarbeiten – auch auf den Dächern der Stadt. Zeit also, den grünen Blick in die Höhe zu richten – und dort oben beherzt zur Tat zu schreiten. hb

Zur Person

Hendrik Behnisch, 1985 in Berlin geboren, ist seit 2018 verantwortlicher Redakteur des Supplements "Exkurs", das alle drei Monate den grünen Titeln des Patzer Verlags beiliegt. Zudem wirkt er an den Fachzeitschriften Neue Landschaft und Pro Baum mit.

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