Im Freiraum verweilen

Exkurs-Redakteur Hendrik Behnisch über das Stadtentwicklungsprojekt "Lebendige Ortsmitten für Baden-Württemberg".

In einigen Kommunen Baden-Württembergs ist das Projekt „Lebendige Ortsmitten“ schon in vollem Gange. Hier ein Eindruck aus der 25.000-Einwohnerstadt Mühlacker. Foto: Yannick Wegner

„Sind unsere Städte noch zu retten?“ fragte jüngst der Moderator einer bekannten ZDF-Talkshow. Die Frage bezog sich primär auf das Sterben des Einzelhandels in den Fußgängerzonen, meinte aber auch deren soziale Verödung. Denn es ist ja nicht Konsumstreben allein, welches die Menschen in ihrer Freizeit vor die Haustür zieht. Ganz entscheidend ist auch der Wunsch, unter Leute zu kommen, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Begünstigt wird sozialer Austausch durch gut gestaltete Freiräume. Dabei unerlässlich: Einladendes Stadtmobiliar.

Verkehrsberuhigte Ortsmitten für BaWü

Ein Bundesland, das sich „die Rettung der Städte“ schon jetzt erkennbar auf die Fahnen geschrieben hat, ist Baden-Württemberg. Dort hat das Verkehrsministerium jüngst beschlossen, bis 2030 mehr verkehrsberuhigte, einladende Ortsmitten zu schaffen. Unterstützung erhalten die Kommunen dabei von Fachbüros: Zunächst zeigt eine Qualitätserfassung vor Ort, welche Veränderungspotenziale überhaupt bestehen. Wenn eine Kommune die Umgestaltung ihrer Ortsmitte ernsthaft in Erwägung zieht, wird diese im Anschluss anhand eines Vorher-Nachher-Vergleichs visualisiert.

Eine zentrale Maßnahme ist der Einsatz von modularen Stadtmöbeln. Projektpartner ist das Mannheimer Unternehmen City Decks, das eine breitgefächerte Möbelauswahl beisteuert. Städte und Gemeinden können das Mobiliar zunächst für zwei Monate ausleihen und die Resonanz in ihrer Bevölkerung testen. Im Rahmen der Initiative „Lebendige Ortsmitten“ übernimmt das Land Baden-Württemberg die Kosten.

Der Umstand, dass die Stadtmöbel modular, also leicht auf- und abbaubar sind, ist im Rahmen des Projekts von entscheidender Bedeutung. Denn das Baden-Württembergische Verkehrsministerium weiß um die Macht des Zweifels, die im traditionell konservativ geprägten „Ländle“ gegenüber Neuem besteht. Auf der Website aktivmobil-bw.de schreibt das Ministerium treffend: „Wenn eine Ortsmitte im größeren Umfang umgebaut werden soll, ist dies eine langfristige Entscheidung mit hoher Tragweite, die bei Planung und Bau viele Ressourcen bindet. Daher ist es oft einfacher, eine neue Flächenaufteilung und -gestaltung zunächst für einen begrenzten Zeitraum auszuprobieren.“ Dieser Try-it-before-you-buy-it-Ansatz soll die Hemmschwelle der Kommunen senken, an dem Projekt teilzunehmen.

Projektpartner City Decks setzt auch darüber hinaus fest auf die Leasing-Idee: „Der öffentliche Raum ist derzeit ein großes Experimentierfeld. Überall werden Nutzungsszenarien getestet und ausgewertet. Da diese in der Regel zunächst temporär angelegt sind, bieten wir neben der klassischen Kaufvariante auch die Möglichkeit, Möbel zu mieten“, so das Mannheimer Unternehmen.

Das Verkehrsministerium macht davon gern Gebrauch. Sein aus Fördermitteln des Landes finanzierter Leih-Service beinhaltet zum einen das „Basis-Set“ und andererseits das „Erweiterungs-Mobiliar“. Ersteres ist die Grundausstattung jedes Möbel-Pakets und enthält eine modulare Sitzkombination, einen Baumkasten, Radbügel sowie eine Informations-Stele. Kommunen, eine tiefgreifende Veränderung ihrer Ortsmitte wünschen, können zudem zahlreiche andere Stadtmöbel aus dem „Erweiterungs-Mobiliar“ ausleihen – individuell und nach Bedarf. Zur Auswahl stehen unter anderem Parklets, Sitzgruppen, Pflanzkästen und „Grüne Liege-Oasen“.

Behutsame Umgestaltung in Bad Wimpfen

Und welche Kommunen haben den Weg der Stadtmöbel-Erprobung nun bereits beschritten? Die Kurstadt Bad Wimpfen am Neckar im Landkreis Heilbronn ist einer der Projektteilnehmer. Die 7.000-Einwohner-Stadt hat zahlreiche Sitz- und Liegebänke, Parklets und Fahrradstationen ausgeliehen, die das Erscheinungsbild des Ortskerns sichtbar verändern – denn der ist hochgradig historisch und dementsprechend denkmalgeschützt.

Deshalb geschah die Umgestaltung auch äußerst behutsam, wie Bürgermeister Andreas Zaffran gegenüber dem Architektur-Journal „Cold Perfection“ sagte: „Die Tatsache, dass die Module flexibel gestellt werden können, ohne in die bestehende Infrastruktur eingreifen zu müssen, war für mich in Anbetracht des Denkmalschutzes der ausschlaggebende Punkt.“

In diesem Herbst wird der Gemeinderat darüber entscheiden, ob Bad Wimpfen die modularen Stadtmöbel behält oder nicht. Unabhängig vom Ergebnis belegt die Initiative „Lebendige Ortsmitten“ aber schon jetzt, wie unkompliziert modulare Stadtmöbel zum Einsatz kommen können. Ob das die Städte Baden-Württembergs „retten“ kann, wird sich wohl erst mittelfristig zeigen. Verdient hätte es das Projekt allemal. hb

Zur Person

Hendrik Behnisch, 1985 in Berlin geboren, ist seit 2018 verantwortlicher Redakteur des Supplements "Exkurs", das alle drei Monate den grünen Titeln des Patzer Verlags beiliegt. Zudem wirkt er an den Fachzeitschriften Neue Landschaft und Pro Baum mit.

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