Urbane Ruhepunkte

Exkurs-Redakteur Hendrik Behnisch über den gesellschaftlichen Mehrwert von Stadtmobiliar.

Diese portugiesischen Jugendlichen legen auf dem dreistufigen Sitzpodest STOOP von Vestre eine gemeinsame Siesta ein. Designt wurde das unkonventionelle Stadtmöbelstück von dem belgisch-dänischen Architekten Julien de Smedt. Foto: Vestre

Was genau ist es eigentlich, das Stadtlust in uns weckt? Grandiose Architektur, einladende Plätze und stimmungsvolle Straßencafés? Für viele zählen diese Dinge ganz gewiss zum städtischen Wohlfühl-Paket dazu. Doch das ist längst nicht alles: Sträflich unterbewertet sind in diesem Kontext Stadtmöbel – obwohl sie für ein Gefühl des Willkommenseins im öffentlichen Raum unverzichtbar sind. Sie leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir an der frischen Luft entspannen können – und das, ohne einen Cent dafür bezahlen zu müssen. Denn Stadtmöbel sind wesentliche Elemente eines gemeinsamen urbanen Lebens, die jedem kostenlos zur Verfügung stehen. Paradoxerweise ist es gerade ihre stille Allgegenwart im Stadtbild, die dafür sorgt, dass wir Stadtmöbel nicht so aktiv wertschätzen, wie sie es verdient hätten.

Gestalterische Vielfalt

Diese Wertschätzung ist umso mehr geboten, wenn man sich vor Augen führt, mit welch hohem Aufwand Stadtmöbel hergestellt werden. „Für die Designer ist es eine unglaublich harte Anforderung, was sie in einer Sitzbank alles realisieren müssen“, sagt der Landschaftsarchitekt Tilman Latz. Der Grund: Stadtmobiliar muss sich stets an dem Wohlbefinden messen lassen, das es bei seinen Nutzern hervorruft. Ein nicht ganz unproblematischer Ansatz, wie der Inhaber des Planungsbüros Latz + Partner meint: „Wohlfühlen ist ein schwieriger Aspekt, denn Wohlfühlen ist relativ. Während der eine es klassisch-repräsentativ mag, schwört der andere auf ein eher unorthodoxes Design.“ Um der Vielfalt der Geschmäcker gerecht zu werden, bieten viele Hersteller heutzutage eine große Bandbreite unterschiedlicher Design-Typen an.

Bei aller gestalterischen Freiheit, die im Hinblick auf Stadtmöbel herrscht, gilt es dennoch, eine planerische Faustregel zu beachten: Das Outdoor-Mobiliar muss eine ergonomische Bequemlichkeit bieten und – um überhaupt erst einmal wahrgenommen zu werden – eine starke Präsenz haben. Präsenz sei allerdings nicht mit überbordenden Ausmaßen zu verwechseln, mahnt Latz: „Manchmal ist gar nicht der Platz vorhanden, um klassische Stadtmöbel zu montieren. Dann sind smarte, elegante Lösungen gefragt.“ Als Beleg führt er ein Beispiel an, das zeigt, wie man es gerade nicht machen sollte: „Ich hatte einmal mit einem italienischen Stadtmöbelhersteller zu tun, der eine Bank von geradezu barocker Pracht gestaltet hat. Sie sah wirklich beeindruckend aus, hatte aber einen entscheidenden Makel: Die Bank war für einen ganz bestimmten Ort entwickelt worden – und nur für den. Der Hersteller hat kein einziges Exemplar verkaufen können.“

Das Modell von Lyon

Wir sehen: Allein in ästhetisch-gestalterischer Hinsicht müssen die Schöpfer von Stadtmöbeln sehr viel bedenken. Doch was bringt die schönste Sitzbank, wenn sie schnell verschleißt? Das Bild vom gemeinsamen Outdoor-Wohnzimmer mag den gesellschaftlichen Nutzen von Stadtmöbeln prägnant veranschaulichen –  doch „Outdoor“ bedeutet eben auch in besonderem Maße schadensanfällig. Und zwar nicht nur durch Sonneneinstrahlung, Windeinwirkung und Regenguss, sondern auch durch Vandalismus. Robustheit ist folglich eine weitere Eigenschaft, die Stadtmöbel zwingend mitbringen müssen. Untrennbar damit verknüpft ist die Frage nach Pflege und Instandhaltung. Auch diesbezüglich hat Latz Interessantes zu berichten: „Manche Städte haben pragmatische Lösungen gewählt, um des Pflegeproblematik Herr zu werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das französische Lyon. Dort hat man sich auf eine sehr kleine Auswahl an Stadtmobiliar geeinigt, das aus einheitlichem Material besteht und somit die gleiche Art von Pflege erfordert. Auf die Art hält es zwanzig, dreißig Jahre und wird dann von der nächsten Kollektion beerbt.“ Diese Standardisierung des Stadtmobiliars läuft zwar gerade der gestalterischen Vielfalt zuwider, die das Credo vieler Designer darstellt. Doch auf die Art könnten Kommunen enorm viel Geld einsparen, sagt Latz. Ein Modell, das auch in Deutschland flächendeckend Schule machen sollte? Wer weiß. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass von französischem Boden eine Revolution ausgeht.

Hendrik Behnisch

Zur Person

Hendrik Behnisch, 1985 in Berlin geboren, ist seit 2018 verantwortlicher Redakteur des Supplements "Exkurs", das alle drei Monate den grünen Titeln des Patzer Verlags beiliegt. Zudem wirkt er an den Fachzeitschriften Neue Landschaft und Pro Baum mit.

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