Grüne Lungen

Exkurs-Redakteur Hendrik Behnisch über das Stadtbaumsterben im Klimawandel.

Latente Unfallgefahr auf dem Bürgersteig: Eine fachgerechte Baumpflege ist nicht nur für das Wohlergehen der Gehölze, sondern auch für die Verkehrssicherheit unerlässlich. Foto: daviles, Adobe Stock

Jahrzehntelang hatten die beiden alten, wettergegerbten Linden fast gebieterisch über dem kleinen Kiosk aufgeragt. An heißen Sommertagen, wenn sich Scharen von Feuerwanzen auf ihnen tummelten, spendeten sie großzügig Schatten – sehr zur Freude des Kiosk-Betreibers und seiner Kunden. Im Winter entfiel dieser Vorzug zwar, ein Wahrzeichen des Kiezes blieben die Bäume allerdings auch in der kalten Jahreszeit. Bis das Lindenpaar eines Tages gefällt wurde. Nach langer Zeit am Extremstandort „Stadt“ war es abgestorben – der Trockenstress der vergangenen Sommer hatte ihm den Gnadenstoß versetzt.

Dieses Szenario ist längst kein Einzelfall mehr, sondern bittere Realität – und zwar bundesweit. Der Klimawandel trifft unsere heimischen Stadtbäume mit einer Wucht, der viele von ihnen nichts entgegenzusetzen haben. Was bedeutet das für uns? Werden wir einst in baumlosen Städten leben, deren Temperaturen den Mittelmeer-Urlaub obsolet werden lassen?

Den Blick für Alternativen öffnen

Zugegeben, diese Darstellung ist etwas zugespitzt – doch besorgniserregend ist es allemal, in welch schlechter Verfassung sich unsere Stadtbäume befinden. Das sieht auch Thomas Amtage so. Der Baumsachverständige, der Landschaftsarchitektur- und Sachverständigenbüros in Berlin und Halberstadt betreibt, hat bei manchen einheimischen Baumarten wenig Hoffnung: „Derzeit stirbt uns in Ost- und Mitteldeutschland die Rotbuche in
einem Maße ab, das wir vor zwei Jahren noch nicht erahnen konnten. Im Brühlpark in Quedlinburg, den mein Büro betreut, haben wir in diesem Jahr fast 80 große Buchen verloren.“

Der Bergahorn würde ebenfalls immer mehr zurücktrocknen, der Totholzbestand bei Linden nehme indes kontinuierlich zu. Die meisten Stadtbaumarten werden es schwer haben, uns in Städten mittelfristig als Klimaanlage, Luftreiniger und Lärmminderer dienen zu können. Wie die grüne Branche auf diesen Verlust reagieren soll, ist für Amtage selbstverständlich: Sie müsse „den Blick öffnen“, um pragmatische Lösungen zu finden.

Damit steht er nicht allein da. Pragmatismus hatte auch Helmut Selders, der Präsident des Bundes deutscher Baumschulen, jüngst gefordert. Um Deutschlands zukünftigen Stadtbaumbestand zu sichern, schlug er das vermehrte Züchten gebietsfremder Gehölze vor, die eine höhere Trockenstress-Toleranz aufweisen als Linde, Buche und Co. Amtage bestätigt das aus eigener Erfahrung: „Baumarten aus Südosteuropa funktionieren sehr gut. Wenn wir Amberbaum, Gleditschie oder Schnurbaum angepflanzt haben, waren die Ergebnisse bislang stets überzeugend.“

Eine vielversprechende Strategie

Sollten wir also gebietsfremde Gehölze flächendeckend in unseren Städten pflanzen? Mitnichten. Der Fokus auf einzelne Arten, die in großer Zahl gepflanzt würden, sei deshalb genau der falsche Weg. Man müsse sich nur einmal Alleen anschauen, an denen überraschend ein Schaderreger auftritt: „Wird ein Baum befallen, sind die Chancen groß, dass es die anderen auch trifft“, so der Sachverständige. Um eine neue Generation von Stadtbäumen fit für die Zukunft zu machen, sollte man in Blöcken und straßenzugweise in großer Vielfalt pflanzen und auch sicherstellen, dass der
Baumstandort geeignet ist. Somit könne das Risiko weitreichenden Schädlingsbefalls – und somit des Absterbens – minimiert werden. Zudem, so Amtage, sei es zwingend notwendig, dass urbane Jungbäume genügend durchwurzelbaren Raum, Wasser und Nährstoffe sowie eine fachgerechte Pflege erhalten.

Aufstieg der Exoten

Zwar fiele es bei alledem unverändert schwer, einen Masterplan für das Stadtgrün von morgen zu entwerfen, da „auch wir Sachverständige nicht alles vorhersehen können, was in der Natur passiert“. Doch eine vielversprechende Strategie lässt sich aus dem bisher Gesagten durchaus ableiten: „Was einem Allheilmittel gegen den urbanen Stress am nächsten kommt, ist eine genetische Vielfalt verschiedenster – auch fremdländischer – Bäume, die an diese neuen Klimabedingungen besser angepasst sind,“ bringt es Amtage abschließend auf den Punkt.

Zum Abschluss also eine Botschaft, die Mut macht: Es gibt genügend Baumarten, die uns vor der Dystopie einer gänzlich grauen und überhitzten Stadt bewahren können – und fremdländische Gehölze zählen vielfach ausdrücklich dazu. Landschaftskulturell mag der plötzliche Aufstieg der Exoten gewöhnungsbedürftig sein. Doch ganz ehrlich: Spielt deren „fremdes“ Aussehen noch eine Rolle, wenn sie uns helfen, unsere Städte lebenswert zu erhalten?

Hendrik Behnisch

Zur Person

Hendrik Behnisch, 1985 in Berlin geboren, ist seit 2018 verantwortlicher Redakteur des Supplements "Exkurs", das alle drei Monate den grünen Titeln des Patzer Verlags beiliegt. Zudem wirkt er an den Fachzeitschriften Neue Landschaft und Pro Baum mit.

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