Teilhabe im öffentlichen Raum

Prof. Dr.-Ing. Jörg-Ulrich Forner (Beuth Hochschule für Technik Berlin) über die Wertschätzung für Freiräume.

Foto: Jörg-Ulrich Forner

Öffentliche Freiräume, demokratische Teilhabe, wer braucht denn sowas? Wir sind doch alle gut vernetzt, können von einem remote-Arbeitsplatz aus alles gut bearbeiten, steuern, bestellen, bezahlen, zurückschicken. Können uns informieren, kommunizieren, chatten und amüsieren. Und online trifft man in seinen Blasen immer auf Gleichgesinnte - läuft also. Der Kühlschrank ist ganz nah, und es gibt Briefwahl. Mega! Wer die Nachbarn auf dem Flur gegenüber seit zwei Jahren sind, weiß man allerdings gerade nicht. Muss man?

Zu Pandemie-Zeiten konnte man einerseits sehr gut beobachten, dass viele Menschen ihre traditionell genutzten öffentlichen Freiräume gemieden haben, um vermeintliche Infektionen zu verhindern, nicht nur während des einschränkenden Lockdowns. Andererseits zeigte sich der große Bedarf und auch die deutliche Wertschätzung der Stadtbevölkerung für die bestehenden Freiräume, dass diese urbanen Intarsien trotz ihrer unterschiedlichen Qualitäten und Größen eine verlässliche Konstante im kollektiven Lebensgefühl und des individuellen Raumerlebens waren. Hier konnte man anderen Menschen angstfrei begegnen, wichtige persönliche soziale Kontakte trotz widriger Abstandsregeln pflegen, gemeinschaftlich Sport mit Freunden oder in Laufgruppen machen. Manche Joggingrunde wurde dabei reziprok proportional länger, da der häusliche Weg zum Kühlschrank über die Monate erschreckend kurz geraten war. Mens sana in corpore sano!

Besonders positiv wird in Erinnerung bleiben, dass sich auch viele Menschen in die Freiräume begaben, die vorher hier oder zu einer bestimmten Tageszeit selten oder gar nicht zu sehen waren. Dies erhöhte die Vielfalt an überraschenden Möglichkeiten, schuf auch neuen zwischenmenschlichen Austausch und ein anderes erlebbares soziales und dabei meist friedliches Miteinander. Wie aber Demonstrations- und Protestereignisse auf in- und ausländischen Straßen- und Freiräumen ebenfalls sichtbar machten, werden hier auch politische, demokratische Aktionsräume bereitgestellt, Orte des würdevollen Dialogs, des gewaltfreien Streitgespräches, auch des stillen Protests und Gedenkens.

Ja, im Vergleich zu frühen Bestands- und Nutzungsanalysen der 1970er und 80er Jahre wird das heutige Stadtgrün viel stärker und intensiver beansprucht, auch weil Flächenverluste und Landflucht ihren Tribut fordern. Und ja, um die vielen wertvollen Eigenschaften und Multicodierungen zu bewahren und zu entwickeln, muss es fachgerecht und auch viel intensiver gepflegt werden. Und damit wird es auch vielfach teurer für das kommunale Budget. Dennoch: Hier findet Demokratie statt, ist sie sichtbar, erlebbar, gestaltbar. Daher: steht auf, zeigt, dass Ihr Demokraten seid und begebt Euch auf die Straßen und in die Parks! Öffentliches Eigentum verpflichtet - uns alle auch zur Teilhabe.

(Das junge Pärchen von gegenüber kommt übrigens aus Ghana, zufälliges kurzes Hallo beim Park-Workout, drei Tage drauf gemeinsames Grillen zusammen im Hof. Quality time!)

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Jörg-Ulrich Forner lehrt seit 2011 an der Beuth Hochschule für Technik Berlin die Fachgebiete Bautechnik, Bauabwicklung und Projektmanagement. Nach seiner Promotion arbeitete er an diversen Projekten in der Freiraumarchitektur, der Gartendenkmalpflege sowie im Sport- und Golfplatzbau.

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